06 Feb

1. Lesung: Ijob 7,1-4.6-7; 2. Lesung: 1 Kor 9, 16-19.22-23;
Evangelium Mk 1, 29-39

Liebe Schwestern und Brüder,

neue Begriffe in der Philosophie und Soziologie drehen die Runde. Nach der Disziplinargesellschaft vergangener Zeiten und der Leistungsgesellschaft der letzten Jahre entwickelt sich demnach eine "Palliativgesellschaft". Und in der Folge spricht man in der Kirche von einer "Palliativpastoral". Eine Palliativgesellschaft ist eine Gesellschaft des "Gefällt mir". Alles muss geliked und zurechtgebogen werden, bis es eben gefällt. Das Liken und Gelikedwerden sind die Grundttugenden. Das, was man von den sozialen Medien kennt, weitet sich auf große Bereiche der Kultur und der Gesellschaft aus. Ecken und Kanten, Konflikte und Widersprüche werden nivelliert, damit es auf Instagramm etc geliked wird.
Palliativpastoral ist in der Folge der Versuch, die reale Situation und Bedrohung von Kirche und Glauben zu verdrängen oder zu betäuben.

Sowie in der Gesellschaft alles rund laufen muss und den Schönheits- und Leistungsidealen entsprechen muss, so muss Glaube auch immer etwas mit Wohlfühlen zu tun haben. Und so entsteht ein ganz neuer Leistungsdruck: alles muss hip und top sein. Es gibt die "Must Haves", von Urlaubsreisen, Bodymass-Index angefangen bis zum exotischen Selbsterfahrungs- und Transzendenztrip... 

Die Begriffe der Zeit heißen "Motivation" und "Selbstoptimierung". Was nicht in das Gefälligkeitsschema hineinpasst, muss beherrschbar gemacht werden, bis es eben wieder passt. 

Und so produzieren die Leistungs- und Palliativgesellschaft viele Opfer, die da nicht mehr mithalten können, die eben verwundbar sind. Zur Welt und zu unserem Leben gehören nun mal auch die Ecken und Kanten, die Vulnerabililtät, Konflikte und Widersprüche. Und das erleben wir ja derzeit ganz massiv... Wir leben in einer Zeit, die man nicht einfach nur liken kann, die massiv psychisch erkrankte Menschen hervorbringt, weil sie diesem Druck nicht mehr standhalten können.

In der ersten Lesung hören wir heute von Hiob, der Gott und die Welt nicht mehr verstehen kann; zu hart ist sein Schicksal. Er kann seine Situation nicht mehr schönreden; er muss mit der Situation irgendwie zurecht kommen. Und er macht etwas, was zunächst einmal völlig sinnlos erscheint und ihm zunächst auch nicht weiterhilft: er betet!

"Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist" (Ijob 7,7)
Eine Beschreibung seiner Situation und zugleich Ausdruck von Hoffnung!

Und diese Spannung von Verlorenheit und Hoffnung hilft ihm, sein Leben zu ertragen und auszuharren, bis sich sein Leben wendet und bis Gott ihm einen Neuanfang ermöglicht.

Ambiguitätstoleranz nennt das die Gegenwart: die Fähigkeit, Verwundbarkeiten, Spannungen auszuhalten; sich und die Welt als vielschichtiges Gewebe zu begreifen, nicht nach schnellen, gefälligen  und einfachen Lösungen zu suchen.

Und diese Fähigkeit kommt Hiob in der radikalen Hinwendung zu Gott hin zu: aus ihr kann er das annehmen, was er nicht ändern kann, ohne zu resignieren und ohne sich aufzugeben.

Auch Jesus sucht diese radikale Hinwendung zu Gott im Gebet. Es gäbe viel zu tun...Die Not ist groß. Kann er es sich denn leisten, wegzugehen und eine Nacht im Gebet auf dem Berg zu verbringen?

Die Spannung, die sich heute im Evangelium auftut, - die konkrete Not auf der einen Seite und seine Mission auf der anderen Seite - überbrückt er im Gebet, damit er das Größere seiner Sendung und seiner Identität nicht aus den Augen verliert.

Sie zeigt ihm auch die Verletzlichkeit und das Konfliktpotential seiner Sendung: es nie allen gerecht machen zu können! Er widersteht dem Leistungs- und Erwartungsdruck, was ein "Messias halt so zu tun habe" und wird gerade so am Kreuz und durch das Kreuz zum Erlöser und Messias.

Als Christinnen und Christen, als Kirche müssen wir diesen Weg des Kreuzes gehen: uns ausspannen nach oben und unten, nach links und rechts und diese Spannungen aushalten lernen, aber im Wissen, dass sein Kreuz uns hält und erlöst.

Und dazu brauchen wir wie Hiob und Jesus die Zeiten des Gebets und der Stille, um nicht in der Leistungsgesellschaft erdrückt zu werden oder in einer Palliativgesellschaft betäubt zu werden von der Sucht nach den Likes. Die Christin, der Christ schaut der verwundbaren und verwundeten Gegenwart in die Augen, aufrecht und aufrichtig, weil er niemandem gefallen muss außer Gott. Und von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, kann uns wirklich nichts mehr trennen.





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