19 Sep

1. Lesung: Jes 55,6-9; 2. Lesung: Phil 1,20ad-24.27a; Evangelium: Mt 20,1-16

Liebe Schwestern und Brüder,

das heutige Evangelium widerstrebt zunächst unserem Gerechtigkeitsempfinden. Ist das nicht unfair, wie der Gutsbesitzer mit denen umgeht, die den ganzen Tag hackeln und schuften?
Wenn ich beim Lesen und Hören dieser Perikope an das Ende komme und der Gutsbesitzer fragt: " Ist dein Auge böse, weil ich gut bin?", dann bin ich über mich selbst verwundert, dass auch ich anderen das Gute nicht gönne, weil ich Angst habe, benachteiligt zu werden.

Diese Logik von (religiöser) Leistung und entsprechender zu erwartender (göttlicher) Gegenleistung scheint unser ganzes Denken, Reden und Tun zu beeinflussen.
Bereits in der Bergpredigt versucht Jesus, diese Logik aufzubrechen: "...Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!..." (Mt 5,46ff.)

Die Gerechtigkeit Gottes ist so barmherzig und voller Liebe, dass es (nach unserer Logik) fast weh tut. Wir übersehen dabei sehr schnell, was im Gleichnis vom barmherzigen Vater der ältere Bruder übersehen hat: "...Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden..." (Lk 15,31f.)

Durch die Gnade Gottes sind wir alle in seine Nähe gerufen. In seiner Kirche, seinem Weinberg, haben wir unseren Platz. In seinem Wort und in den Sakramenten, im Gebet und in der Stille eröffnet er uns seine Gegenwart und Liebe.
Das ist nicht ein Vorteil, den wir anderen Menschen voraus haben, weil er nicht auf unserer Leistung beruht. Gott ruft uns in seinen Weinberg. Auch wenn das (religiöse) Leben oft mühsam ist und viel Aufmerksamkeit erfordert, sind wir doch in SEINEM Weinberg - bei IHM zuhause. Und weil wir durch seine Gnade und Liebe in SEINEM Weinberg leben, steht es uns nicht an, anderen diese Berechtigung abzusprechen.
Wie schnell sind wir versucht, uns als die wahren Gläubigen oder die besseren Menschen in einer sogenannten "gottlosen" Welt zu fühlen?
Übersehen wir dabei nicht, dass Gott außerhalb des Weinberges (außerhalb unseres vertrauten Terrains der Kirche und der kirchlichen Lebensgewohnheiten) immer noch nach Menschen Ausschau hält und sie sucht?
Der Gutsherr bewegt sich im Gleichnis meist außerhalb des Weinberges... Und wo suchen wir den Herrn?


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